«...doch der Schlaf ist nur ein Transmissionsriemen
der mich dem nächsten Tag übergibt und die Sonne diese Falsch-
münze reisst mir...»
Adam Zagajewski: Die Wiesen von Burgund. Ausgewählte Gedichte, Herausgegeben und aus dem Polnischen übersetzt von Karl Dedecius. Hanser 2003.
Franz Schubert, der eine Pressekonferenz gibt («ja, ich bin schon müde, nein, das ist keine Klage»), ein Gespräch mit Nietzsche, die Gotik, Mystik für Anfänger, Vermeer und Vicenza, ein Cello.
Polen! (und in der Institutsküche nebenan schnattern sie drauflos, ich verstehe kein Wort, und wie ich vorhin im Slavischen Seminar war, fragt eine Person nach Privatstunden «für eine grosse Polenreise»).
Nur in einem, Adam Zagajewski, möchte ich Ihnen zu widersprechen wagen: Frankreichs Kathedralen sind nicht gastlicher als seine Gedichte.
Zielgerichtet-flanierend: Dialog im Nebel. Kunst der Weiterführung. Etwas ins Spiel bringen – und es wieder aus dem Spiel hinaus reden. Möglichkeit, etwas herzustellen, einen Reichtum, ein Projekt, eine Bestimmtheit. Zwang zur und Freiheit der Wörtlichkeit. Streifzüge, Ideenkontinente, Gepäckverzicht.
Die zehn Gebote des Dialogs: Du sollst mir nicht meine Idee sein.
Einer wird Alchemist, weil er nicht aufhören kann, «Hermes Trismegistos» zu murmeln.
Aber solcherart sind alle Motivationen.
Was habe ich mir heute erschlossen, was unwiderruflich verriegelt? Und welcher Teil dieser Frage ist in seinen Folgen weittragender?
Worauf mir noch weitere Zeilen von Pessoa einfallen, die ebensogut passen:
«Seit mehr als einer halben Stunde
sitze ich vor dem Schreibtisch
mit dem einzigen Vorsatz, ihn anzustarren.
(Diese Verse haben nicht meinen Rhythmus,
ich selbst bin nicht in meinem Rhythmus).»
Der Rest des Gedichtes ist mir im Worlaut entfallen, es kommen aber noch vor: blütenweisses Papier, ein Tintenfass, die Enzyclopaedia Britannica, und zur Rechten - ah, zur Rechten! - ein Brieföffner, mit dem ein Buch geöffnet werden soll, das der Starrende für spannend hält und doch nicht lesen wird.
«Ich brauche Wahrheit und Aspirin!», wie M. mit Pessoa zu sagen pflegt.
«je ne veux pas travailler je veux fumer»
Guillaume Apollinaire:Le Guetteur mélancolique, suivi de Poèmes retrouvés. Gallimard/nrf
Wahre Melancholie ist jene, die sich nicht mehr heilen will .
Bei den zufällig angetroffenen Wendungen «Anfahrrampenpuffer nach Kundenwunsch» und «aufvulkanisierbare Gummi-Etiketten» in lyrische Ekstase verfallen. Der namenlose Reichtum des industriellen Wortschatzes!
«Aufvulkanisierbar», eine Vokabel von Goethescher Wucht.
Begriffe wie «Zweikomponentenformteile» oder «Verschleissteile» werde ich ab sofort in musikanalytischen Gebrauch nehmen.
Unsere Dienstleistungen sind übrigens: «Dur-moll-Verbindungen nach Kundenwunsch» und «Sonaten-Gussformen» sowie die Spezialanfertigung von Ersatzteilen für missratene Musikstücke. Nach Wunsch übernehmen wir auch deren Entsorgung.
«Vorm Mund steht Dampf. Man spricht - und jedes Wort verpufft.»
Durs Grünbein: Vom Schnee. Frankfurt: Suhrkamp 2003. 141 S.
Angesichts der Senfschlachten, die immer noch vor dem Bürofenster wüten, ein kleiner Nachtrag ausser Konkurrenz zur Institutionenliste: Ansehen fördern versus Aussichten fordern, sozusagen. Die VBL-Akademie sei dem hiesigen Erasmus-Programm im übrigen wärmstens empfohlen.
...Institutionen.
1. IRCAM, Paris
2. Max Planck Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin
3. Istituto e Museo di Storia della Scienza, Firenze
4. N.N
5. N.N
Vorschläge zur Besetzung der Positionen 4 und 5 werden geprüft.
«A realistic model of a barbershop must include the morning, lunch, and afternoon breaks the barber takes.»
Andrew F. Seila, Vlatko Ceric, Pandu Tadikamalla: Applied Simulation Modeling. Thomson, Brooks/Cole 2003. 456 p.
Und wenn man's noch realistischer will, muss man diese Pausen auch schön ausdehnen, sagte der Unrasierte vor seinem Computermodell.
Ein brauchbares Buch, an dem zwei Dinge stören: - die Berücksichtigung von statischen Simulationen (die mich im Gegensatz zu dynamischen nicht interessieren), und eine unschöne Verankerung in der Finanzwelt.
Heute auf der Strasse über folgende Idee gestolpert: man müsste einmal das Thema der Volkskryptologie untersuchen.
Zwei Thesen:
1) Es werden eher steganographische als kryptologische Methoden verwendet.
2) Es wird ausgiebig Gebrauch von den in der Kryptologie so gefürchteten "complications illusionnaires" gemacht.
mal sehen...
Es ist auffallend, dass argumentative Verkürzungen meist am eigenen Kopf Mass nehmen.