Die verschiedenen Arten unserer mentalen Repräsentationen. Die Vergangenheit als rechts neben und hinter «mir» liegende, geräusch- und farblose Jahrhundertstreifen.
«Die persische Doktorandin am Steuer spricht von einer Verwahrlosungstendenz in der westlichen Literatur. Der Philosoph versucht einzuschränken: im Genre der italienischen Oper.»
(Alexander Kluge; Die Lücke, die der Teufel lässt)
«Der Schlaf besitzt eine Sprache, aber sie ist Fremdsprache für alle Formen des Wachbewusstseins, und es gibt wenig Übersetzungen. Es verhält sich ähnlich wie bei den mimetischen Vermögen, bei den Körpersprachen, den Eigensprachen der Sinne, aber auch für das Hirn selber. In mancher Hinsicht ist die rechte Hemisphäre des menschlichen Gehirns der linken überlegen. Die linke aber ist in der Regel sprachdominant, die rechte spricht in Fremdsprachen, die nicht vergesellschaftet sind. Man kann von einer sich gegenseitig ergänzenden Spezialisation der beiden Hemisphären des Hirns ausgehen, aber in kollektiven Aggregaten dissoziieren sich die Sprachen, sie ergänzen sich keineswegs. Ein gesellschaftliches Bewusstsein, das nur die Sprache einer Hirnhälfte versteht, kann nicht als menschliches Bewusstsein Monopole haben. Das gleiche gilt ähnlich für das bewusstseinserweiternde Leben des Schlafs.»
Oskar Negt, Alexander Kluge: Der unterschätzte Mensch, Bd. 2: Geschichte und Eigensinn. Zweitausendeins: 2001.
Ich erwache nicht aus dem Schlaf, ich erwache in ihn.
«Mathematik ist - wie wir schon ganz zu Anfang unseres Buches festgestellt haben - eine Abstraktion, im Allgemeinen sogar eine besonders weitgehende Abstraktion. Das bedeutet, dass man Unwesentliches weglässt und sich auf die Essenz konzentriert.»
Peter Pepper: Funktionale Programmierung in OPAL, ML, Haskell und Gofer. Springer 2003.
«So kann die Reinheit des Blicks
aufstellen eine Grammatik des Lichts.»
Joachim Sartorius: Ich habe die Nacht. Gedichte. Dumont 2003
Ich habe heute sehr schlecht gewacht. Ich weiss nicht, was ich gegen diesen Wachmangel tun soll. Ich bin deswegen schon sehr unkonzentriert im Schlaf.
Ich habe immer bedauert, dass ich in einem mentalen Bild nichts mit meinen Händen umstellen kann. Dass der Geist andererseits den Händen nicht zu Hilfe kommt, lässt sich leicht überprüfen, etwa an einem Klavier.
«Und im Rat, in der Duma, wird weiter über Finnland diskutiert, über den Besuch von Königen. Und alle glauben, es müsse so sein.»
(Lev Tolstoj)
Sprechende Stimmen, hrsg. u. übersetzt von Alexander Nitzberg. Dumont 2003.
Auf der beiliegenden CD die Stimmen von Blok, Majakovskij, Mandelstam, Achmatova, Tolstoj...
Wie lässt sich die Basler Slavistik erhalten?
«Bertrand Russell once said that a special section of Hell is reserved for those who claim to have refuted Hume on induction. No doubt the same is true for those who think they can evade Gödel's Theorem.»
(aus der Webseite, bzw. dem Weblog des Physikers Cosma «which is my face which is a building» Shalizi)
«Der Universitätsrat hat unter Berücksichtigung der am 31. Oktober 2003 publizierten Kriterien den Leistungskatalog diskutiert. Er sieht bei einigen Fächern eine Kürzung der Ausstattung, bei anderen die Aufhebung vor. Kürzungen sind für die Theoretische Mathematik, die Kernphysik, die Analytische Chemie, die Pflanzenphysiologie, die Ur- und Frühgeschichte sowie die Musikwissenschaften geplant. Der Umfang der Reduktion entspricht insgesamt neun Professuren, die bis 2008 nicht mehr besetzt werden. Eine vollständige Aufhebung ist für die Bereiche Astronomie, Slavistik und Geologie vorgesehen; hier können vier Professuren mit der dazu gehörigen Ausstattung eingespart werden.» (link)
Sehr schlau, was da heute wieder von oben kommt. Wozu denn Astronomie oder Slavistik? Ideen, die Zukunft haben. Und was man alles an dazu «gehöriger Ausstattung» sparen kann!
Wenn ein Text Brandblasen wirft, was räumen wir dann dem ganzen Arsenal von Salben und Tinkturen hermeneutischer Zugänge für Heilungschancen ein? Interpretation als Glättung, als gestraffte, kosmetisch-feingeschliffene Haut. Und noch mit Samt in der Stimme tauschen wir uns – mit federleichter Geschultheit – über Unberührbarkeit aus.
«Mais la principale raison, et celle-là applicable à l’humanité en général, était que nos vertus elles-mêmes ne sont pas quelque chose de libre, de flottant, de quoi nous gardions la disponibilité permanente; elles finissent par s’associer si étroitement dans notre esprit avec les actions à l’occasion desquelles nous nous sommes fait un devoir de les exercer, que si surgit pour nous une activité d’un autre ordre, elles nous prend au dépourvu et sans que nous ayons seulement l’idée qu’elle pourrait comporter la mise en œuvre de ces mêmes vertus.»
(Marcel Proust)
Bei Valéry (in den Cahiers) den kognitionspsychologischen Satz finden, der genau diesen Sachverhalt ausdrückt. Es gibt ihn! Und dann das messerscharf Notierte mit dem stumpf Elaborierten vergleichen. Wo der eine Hand anlegt, hält sie der andere zur Maniküre hin...
Die schöne Mineraliensammlung des Naturhistorischen Museums. Coelestin aus Girgenti, Sizilien, Krokoit aus Beresowsk im Ural, Vivianit aus Auona, Kamerun - einem Stück von verkohltem Stamm ähnlich. Wulfenit (Los Lamentos, Mexiko), Opalmatrizen und Topas aus Mursinsk.
Beobachtung zweier Prozesse: a) Klassifikation, b) Namensgebung.
«That's eight characters. It's important to know this.»
Paul DuBois:MySQL Cookbook. O'Reilly 2003.
XML, php, SQL. Monatliche Überdosis.
Wenn, dann wenigsten mehr Lisp, Objective C, XSLT.
Das ganze Zettelsystem von Verweisen und Ermunterungen, das automatisch heranwachsen wird, wo mehrere Menschen zusammenarbeiten. Den ganzen Verweisen einmal nachgehen. Klassifizieren. Die sprachlichen Schichten dieser Palimpseste freilegen.
«Achtung beim aufheitzen des Boilers ist es normal das der hahnen tropft. Danke.» (Bitte, aber wieso muss ich das wissen?)
«Wenn das Sekretariat geschlossen ist, wenden Sie sich bitte an Raum 106.»
«Vorsichtig bis zum Anschlag herunterziehen.»
«Don’t cry, work» (Kategorie Selbstaufmunterung)
«Geschirrtuch!!» (Kategorie mani pulite)
«Achtung, heute wurde wieder gestohlen...» (Arial black, 24p.)
Darin weht der Geist des Hauses, vielmehr als in offiziellen Messingtafeln. Und unsere kleinen Organisationstalente finden ihr dankbarstes Betätigungsfeld...
Penser de plus près...
Aber vielleicht ist dieses «Nahe dran sein» auch nur die ausgehöhlte Hoffnung, das Denken könne einmal medientauglich werden. Denn der Kamera-Zoom - Symptom umgekehrter Beweglichkeiten, die den Gegenstand zu mir «heranholen» - schliesst immer weit mehr aus als er aufzeigen könnte. Vielleicht sollten wir einmal, die Filtereffekte tiefsitzender Müdigkeit ausnutzend, uns an das Grosse, Summarische, durchaus Pauschale und Thetische wagen. Einmal abkürzen, synthetisieren, vermuten dürfen. Den ganzen angehäuften Kram unserer Wahrnehmungstechnologie stilllegen, und auf menschliche Hörweiten, Sehwinkel und Unschärfen zurückkommen.
Einmal merken, dass auf der anderen Seite von Epsilon gegen Null die Unendlichkeit liegt.
Sich fragen: «Gibt es noch eine Grundlagenkrise der Mathematik?», aber in einem so gemütlichen Ton, wie man etwa sagen würde: «Gibt es eigentlich noch diese Eukalyptus-Pastillen, die uns früher die Grossmutter immer...?»
Christian Thiel:«Gibt es noch eine Grundlagenkrise der Mathematik?» in: Friedrich Stadler (Hg.): Elemente moderner Wissenschaftstheorie. Zur Interaktion von Philosophie, Geschichte und Theorie der Wissenschaften. (Veröffentlichungen des Instituts Wiener Kreis, Bd. 9)
Am Beispiel von Jacques Wildbergers «Double Refrain» (1972) nachgedacht, wie politische Musik der siebziger Jahre noch rezipiert werden kann. Bezüge auf Aktuelles (Vietnam, 68, Adornos Auschwitz-Wort) sind zerrissen. Und doch «funktioniert» diese Musik, freilich aufgrund eines unintendierten Ästhetizismus, der sich in der Brillanz und Folgerichtigkeit der Dokumentzusammenstellung zeigt. Ein feingestrickter kammermusikalischer Satz (Flöte, Englischhorn und Gitarre) wird durch die Zuspielung zweier Tonbänder (der beiden Refrains) peinvoll erwürgt. Der «Zustand sprachlicher Intaktheit» wandelt sich zu «hilflosem Gestikulieren». Dem weissen Rauschen des Schlusses wird – in tiefster Verbitterung – das Hegel-Zitat vom Staat als der «Wirklichkeit der sittlichen Idee» nachgeworfen. Dieses «musikalische Opfer» kann selbst nur in begrifflicher Arbeit vollzogen werden. In der Engführung amerikanischer Offiziersaussagen («Ich stelle immer das amerikanische Volk über mein Gewissen») mit dem Buch Samuel 1.15 stockt noch heute der Atem. Das biblische «Schone ihrer nicht...» zeigt sich auch nicht differenzierter als das «Alles killen» des amerikanischen My Lai-Rauschs.
Selbstverständlich ist das von einem plakativ-didaktischen Impuls, der auch noch die hinterste Reihe erreichen will. Dass ein Komponist die Zerstörung seiner eigenen Musiksprache vorführt, um sich gegen die Unterordnung des Individuums unter eine Hegelsche «Idee» aufzulehnen, imponiert deshalb nicht weniger.
...was mich an eine Person erinnert, der die ethnologische Aufgabe gestellt wurde, in der kleinbasler Feldbergstrasse mal durchzuspazieren und nicht viel mehr als die Augen offenzuhalten, vielleicht mal in den einen oder anderen türkischen Musik- und Instrumentenladen einzutreten, vielleicht sogar den Inhaber in ein Gespräch zu verwickeln, den vietnamesischen Spezialitäten-, den senegalesischen Kleiderladen, was weiss ich, einfach mal sich anzusehen und ein bisschen zu erzählen danach...
...und die sich dann eine Adress-CD-Rom kaufte und die ganzen Strassenzüge nach italienischen und türkischen Nachnamen sortierte, sich sogar die fraglichen Fälle notierte, man erkennt die Nationalität eines Namens ja nicht immer auf Anhieb, und demographische Schlussfolgerungen, gewiss brillante statistische Analysen, die am Schluss einen ganzen Ordner ausgedruckten Materials ergaben präsentierte, keinen Blick, keinen Fuss aber in die genannte Strasse geworfen/gesetzt hatte und wir uns...befremdet...ansahen und den meisten Köpfen wohl nur blinkte: Feldforschung?, aber grossgeschrieben...